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Sylvia Kullmann

Autorschaft im Alltag

Autorschaft ist in der digitalen Welt mit ihren allgegenwärtigen Möglichkeiten zum Schreiben und Veröffentlichen von Inhalten fest mit unserem Dasein verbunden. Wer über Instagram, SnapChat & Co. seine Weltsicht nicht in Wort und Bild mitteilt oder auf LinkedIn oder XING zumindest hin und wieder Wissenswertes im beruflichen Umfeld postet, läuft schnell Gefahr übersehen zu werden. Autorschaft bedeutet im digitalen Raum auch Teilhabe. Sie ist zudem eine Frage der Urheberschaft von geistigen Leistungen und deren Anerkennung. Die Zurechnung einer Autor- oder Urheberschaft zeichnet uns persönlich aus, macht uns für Inhalte verantwortlich und bringt im besten Fall Resonanz in Form von positiven Reaktionen und darüber Reputation und (beruflichen) Erfolg.

Bedeutung der Autorschaft in der Wissenschaft

In der Wissenschaft hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Autorschaft aufgrund ihrer überragenden Bedeutung für die Leistungszurechnung in der Leitlinie 14 zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis näher definiert. Autorin oder Autor ist demnach „wer einen genuinen, nachvollziehbaren Beitrag zu dem Inhalt einer wissenschaftlichen Text-, Daten- oder Softwarepublikation geleistet hat“ [1]. Forschungsprozesse sind nicht überall gleich. Es wird daher weiter ausgeführt, dass ein Beitrag in einer für die betreffende Fachdomäne wissenschaftserheblicher Weise erfolgt sein muss. Zudem wird für die Anerkennung einer Autorschaft eine gewisse Beitrags- oder Schöpfungshöhe verlangt. Für Beiträge unterhalb dieser Schwelle wird die Nennung der Beitragenden in Fußnoten, Vorwörtern oder in Form von Danksagungen vorgeschlagen, um erbrachte kleinere Unterstützungsleistungen anzuerkennen. Interessant ist ein Blick in den Negativkatalog. Dieser nennt beispielhaft Leistungen, die für sich allein keine Autorschaft begründen. Nicht ausreichend sind demnach z. B. die technische Mitwirkung bei der Datenerhebung, die Unterweisung von Mitarbeitenden in Standard-Methoden und das „alleinige Lesen des Manuskripts ohne substantielle Mitgestaltung des Inhalts“ [2].

KI und menschliche Autorschaft

Wer schon einmal mit ChatGPT, Luminous oder einem anderen KI-Sprachmodell gearbeitet und nach der Eingabe eines mehr oder weniger komplexen Prompts wohlformulierte Texte Korrektur gelesen hat, wird nun sicher aufhorchen. Auch wer sich an Bildungseinrichtungen mit der Frage beschäftigen muss, welche Auswirkungen KI-Sprachmodelle auf die Eignung von schriftlichen Hausarbeiten als Prüfungsleistung haben, kann vermutlich unzählige Gespräche anführen, in denen genau diese Fragen diskutiert wurden:

  • Was ist eine Publikation wert, wenn (erhebliche) Teile von einem KI-System erstellt wurden, das nicht nur einfach nach einer inhaltlichen Vorgabe Text produziert, sondern auch z. B. eigenständig argumentiert, vergleicht und abwägt?
  • Wie kann und soll die Nutzung von KI bei der Erstellung von Publikationen nachvollziehbar dokumentiert werden?
  • Wie ist der Nachweis von menschlich ausgeführter, selbstständiger „wissenschaftserheblicher Tätigkeit“ möglich? Wie steht es mit der persönlichen Zurechenbarkeit einer erbrachten Leistung in Zeiten von KI?
  • Was ist ein substantieller eigener Beitrag im Zusammenspiel mit leistungsfähigen KI-Systemen? Können selbst formulierte Prompts, das Korrekturlesen der entstandenen Texte und die Komposition dieser in einem Dokument (der Publikation oder Hausarbeit) eine persönliche Zurechnung von Arbeitsergebnissen rechtfertigen?

Die Frage, wie Autorschaft in Zeiten von KI ausgestaltet sein kann, wird schon seit längerem bearbeitet. Der Literaturwissenschaftler Hannes Bajohr hat vier verschiedene Arten der Autorschaft im Zusammenspiel von Mensch und KI vorgeschlagen. Diese reichen von der primären Autorschaft, bei der Menschen ohne KI-Unterstützung schreiben, über eine sekundäre Autorschaft unter Verwendung von KI-Systemen und einer tertiäre Stufe durch die Nutzung von selbst trainierten KI-Systemen, bis hin zu einer quartären Variante, bei der die Eigenleistung aus der Eingabe eines Prompts in ein fertiges System  besteht [3]. Um letztere geht es zumeist seit der Veröffentlichung von ChatGPT am 30. November 2022.

Feingetunte KI als Wettbewerbsvorteil

Noch gar nicht in der öffentlichen Diskussion angekommen sind Fragen, die Bajohrs tertiäre Autorschaft aufwirft. Hier geht es um Wettbewerbs- und Standortvorteile, wenn KI-Systeme durch Feintuning für bestimmte fachliche Domänen optimiert werden und dadurch Texte oder sonstige Outputs eine deutliche höhere Qualität aufweisen. Wer ChatGPT als allgemeine Anwendung in der kostenlosen Version mit den Bezahlvarianten vergleicht, sieht schnell, wie groß ein solcher Unterschied der Leistungsfähigkeit aussehen könnte. Ein feingetuntes KI-System wäre ein erheblicher Vorteil für Forschende, die so schneller qualitativ bessere Publikationen erstellen können. Und wenn man den Blick noch weitet und KI jenseits generativer Sprachmodelle mitbetrachtet, lässt sich zugespitzt vermuten, dass die Genialität von Forschenden zukünftig mehr denn je von deren Wirkungsstätte und den dort nutzbaren KI-Systemen abhängig sein könnte.

KI als Ghostwriter

In diesem Zuge spielen Rechtsfragen eine zentrale Rolle. Im kürzlich von Fabian Rack in der DGI-IZB-Reihe „Künstliche Intelligenz – Vom Wunderkind zum Allrounder“ gehaltenen Vortrag zum Thema „KI-generierte Werke und das Urheberrecht“ wurde noch einmal deutlich, dass KI-Systemen aus rechtlicher Sicht derzeit keine Urheberschaft zugestanden wird. Eine Urheberschaft durch Menschen setzt eine geistige Eigenleistung, eine minimale Schöpfungshöhe, voraus. Wie diese jedoch genau ausgestaltet sein muss, um ein wie auch immer geartetes Arbeitsergebnis zu einem urheberrechtlich geschützten Werk zu machen, muss im Einzelfall betrachtet werden. Klar ist: Mit Blick auf Textprodukte wie Publikationen ist es nicht erforderlich, dass der gesamte Text aus der Feder eines Menschen stammt. Auch das Zusammenstellen von automatisch erstellten Textteilen kann grundsätzlich ein Werk begründen. In der Wissenschaft aber, wo Publikationen die aktuell wichtigste „Währung“ für den Ausdruck persönlicher Leistungsfähigkeit und zur Erlangung von Reputation sind, ist dies natürlich problematisch. Wenn ein KI-System als eine Art künstlicher Ghostwriter nicht als Urheber der ausgegebenen Texte gilt, diese Texte von Menschen zu einer Publikation arrangiert und dann unter dem eigenen Namen ohne Angabe der Quelle bzw. Entstehungsgeschichte der Textteile veröffentlicht werden, ist dies nach dem aktuellen Verständnis von Autorschaft nach der Leitlinie der DFG und vor dem Hintergrund des Negativkatalogs zumindest fragwürdig. Und selbst wenn die Nutzung von KI-Systemen angegeben wird, bleibt nach heutigem Verständnis von Autorschaft, die fest mit dem „selbst erschaffen“ verbunden ist, ein fahler Beigeschmack. Noch kritischer wird es, wenn man in Betracht zieht, dass die zu Texten oder sonstigem Output führenden Prompts sogar von anderen (vielleicht auch einer KI) erstellt worden sein können. Marktplätze hierfür gibt es bereits (vgl. PromptBase). Es wird schnell klar – das Thema ist äußerst komplex und vielschichtig.

KI und die gute wissenschaftliche Praxis

Die Möglichkeiten der Nutzung von KI bei der Erstellung wissenschaftlicher Arbeitsergebnisse bringt nicht nur Fragen der Leistungszurechnung und -anerkennung mit sich. Es geht vielmehr um das grundlegende Verständnis davon, was wissenschaftliches Arbeiten unter dem Einsatz von KI-Systemen zukünftig ist. Die aktuell allseits akzeptierten Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis, die allein den Menschen in den Mittelpunkt stellen, müssen zukünftig das Zusammenspiel von Mensch und Maschine berücksichtigen. Die Diskussion ist hier in vollem Gange. Unbedingt beachtenswert sind in diesem Zusammenhang die Beiträge des Virtuellen Kompetenzzentrums KI und wissenschaftliches Schreiben (VK:KIWA). Unter anderem unter der Fragestellung Wer führt wen in der Wissenschaft im Zeitalter künstlicher Intelligenzen? [4] hat sich eine Arbeitsgruppe um Doris Weßels genau dieses Themas angenommen. Dabei wird diskutiert, wer in welchem Grad die Verantwortung für Arbeitsergebnisse übernehmen kann und muss, die gemeinsam von Mensch und KI erstellt wurden. Auch die Publikation von Peter Salden und Jonas Leschke zu Didaktischen und rechtlichen Perspektiven auf KI-gestütztes Schreiben in der Hochschulbildung, die ein – allerdings auf die Hochschulausbildung gerichtetes – Rechtsgutachten von Thomas Hoeren beinhaltet, sei zur Lektüre empfohlen. Demnach stellt die Nutzung von KI-Systemen bei der Erstellung von Publikationen in Kombination mit einer klaren Angabe aus rein rechtlicher Sicht zunächst nicht grundsätzlich eine Verletzung der guten wissenschaftlichen Praxis dar, solange die KI-erstellten Texte keine Plagiate enthalten. Auch das Gleichsetzen der Nutzung von KI- Produkten mit menschlichem Ghostwriting wird verneint.

Ringen mit KI um das Wesen der menschlichen Autorschaft

Es bleibt die Frage nach dem Wesen der menschlichen Autorschaft. Wird es in der Wissenschaft zukünftig als allgemeine Praxis akzeptiert werden, dass KI-generierte Textteile von Forschenden kritisch gegen gelesen und geordnet, fehlende Quellen durch eine Plagiatserkennungssoftware identifiziert, die entsprechenden Textteile um Quellen ergänzt oder entfernt werden, der Einsatz der KI-Tools dokumentiert und das alles dann vielleicht noch in mehreren Sprachen als Publikation unter dem eignen Namen veröffentlicht wird? Da KI nicht nur aus Sprachmodellen und Anwendungen wie ChatGPT besteht, lässt sich dieses Szenario auch auf andere Bereiche wie z. B. die Datenanalyse übertragen. Nicht vergessen werden darf auch, dass KI nicht nur schreibt, was ihr vorgegeben wird, sondern selbst Argumente und Ideen liefert. Im Kern geht also um die Frage, was wissenschaftliches Arbeiten in Zukunft ist und welche Praktiken grundlegende wissenschaftliche Werte nicht verletzen. Die rechtliche Seite ist dabei nur eine Seite der Medaille.

Breitere wissenschaftliche Leistungsbewertung am Horizont?

Die wissenschaftliche Publikation ist kein Selbstzweck oder Marketinginstrument. Sie dient im Kern der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, als Diskursgrundlage innerhalb von wissenschaftlichen Communities und auch der Dokumentation. Sie wird daher weiterhin in irgendeiner Form am Ende eines Forschungsprozesses stehen. Existierende Regeln, wie sie im Kodex der DFG niedergeschrieben sind, werden durch KI nicht überflüssig. Eine Anpassung der Regeln guter wissenschaftlichen Praxis ist aber erforderlich. Anzeigepflichten bei der Nutzung von KI-Systemen im gesamten Forschungsprozess analog zu Zitierregeln sind aufgrund mangelnder Kontrollmöglichkeiten keine geeignete Antwort auf die Herausforderungen durch KI. Es muss vielmehr die Frage geklärt werden, welche persönlichen Leistungen eines Forschenden eine Autorschaft begründen. Dabei muss konsequent der Einsatz von KI-Systemen mitgedacht werden.

Vielleicht wird es am Ende darauf hinauslaufen, dass sich eine bereits begonnene Entwicklung fortsetzt, andere Formen des wissenschaftlichen Outputs aufgewertet und die Publikation ihre herausgehobene Position unter den wissenschaftlichen Arbeitsergebnissen verliert. Sollte dadurch zum Beispiel die Lehre als aktuell vernachlässigte wissenschaftliche Leistungsklasse an Bedeutung gewinnen, wäre dies sicherlich als positive Entwicklung zu werten.

Quellen

[1] Deutsche Forschungsgemeinschaft. (2022). Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Kodex. https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/rechtliche_rahmenbedingungen/gute_wissenschaftliche_praxis/kodex_gwp.pdf

[2] Deutsche Forschungsgemeinschaft. (o. J.). Kriterien der Autorschaft/Negativkatalog. https://wissenschaftliche-integritaet.de/kommentare/kriterien-der-autorschaft-negativkatalog/

[3] Bajohr, Hannes. (2022). Schreibenlassen. Texte zur Literatur im Digitalen. August Verlag. S. 198.

[4] Weßels, Doris, Johanna Gröpler, Nicolaus Wilder, Andrea Klein und Margret Mundorf. (2021). Wer führt wen in der Wissenschaft im Zeitalter künstlicher Intelligenz? Blog Hochschulforum Digitalisierung. https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/blog/wer-fuehrt-wen-kuenstliche-intelligenz