Jubiläums-Symposium – 75 Jahre DGI

DGI – 1948 / 2023 –

Jubiläums-Symposium – 75 Jahre DGI – 75 Jahre Einsatz für Informations- und Medienkompetenz, Informationspraxis, -wissenschaft und Wissensmanagement!

14. und 15. September 2023, Gästehauser Frauenlobstraße 1 und Dittmarstraße 4 der Goethe-Universität, 60487 Frankfurt am Main

Die DGI feierte am 14./15. September 2023 ihr 75-jähriges Bestehen seit der Wiedergründung mit einem zweitägigen Jubiläums-Symposium sowie einem Festabend. Gegründet 1948 in Köln als Deutsche Gesellschaft für Dokumentation (DGD), hat die DGI maßgeblich zur Entwicklung des Dokumentationswesens in Deutschland beigetragen und wurde zur Keimzelle für viele andere Gesellschaften und Fachvereinigungen, mit denen sie die Digitalisierung von Information und Informationssystemen vorangetrieben hat. Als Fachgesellschaft unterstützt die DGI Aktivitäten in der Informations- und Bibliothekswissenschaft und versteht sich darüber hinaus als Vermittlerin zwischen Forschung und Praxis des Dokumentations- und Informationswesens (zur DGD/DGI-Chronik).


Erste Eindrücke



Keynote I

Die gute und die böse Information – Information als Konstrukt für Information und Desinformation

Die Debatte um den Informationsbegriff besteht seit es die Informationswissenschaft gibt, bzw. führte sie die DGD, als sie sich in DGI umtaufte. Die Vielzahl der Definitionsversuche lässt sich nach einem Vorschlag von Hans-Christoph Hobohm auf zwei Stränge reduzieren: zum einen auf ein epistemologisches Verständnis von Information, das sich auf Wahrheit, vorsichtiger auf überprüfbare Richtigkeit gründet. Exemplarisch hierfür steht die Philosophy of Information von Luciano Floridi. Sie kann die gute, auf Wissen führende Information genannt werden, wie sie traditionell von Informationsprofessionellen durch Nutzung von Bibliotheks- und Dokumentations- und Informationsdiensten, kurz: im Kontext von Fachinformation erarbeitet und vermittelt wird. Dem stehen systematisch gegenüber sozial-/kommunikationswissenschaftliche, konstruktivistische, pragmatische Theorien. Information ist kein Objekt, sondern ein Konstrukt: Was Information ist, was also Nutzende in Situationen informationeller Unsicherheit oder Unterbestimmtheit tatsächlich aus der auf sie einstürmenden oder ihnen zur Verfügung gestellten Information verwenden, was also zu Information wird, entscheiden letztlich sie – wobei das sicherlich nicht immer autonome Entscheidungen sind, dafür sind die darauf wirkenden (und oft manipulierenden) externen Einflussfaktoren zu groß. Handlungsrelevante Information ist auf den ersten Blick sicherlich auch die gute Information. Aber hier wird es ambivalent. Tatsächlich wird man kaum fehl mit der Vermutung gehen, dass die Informationsgesellschaft oft genug eher eine Desinformationsgesellschaft ist. Auch Information, die auf Desinformation beruht, ist nicht einfach nur falsche, böse Information, sondern sie ist für viele Menschen ebenfalls pragmatisch relevant, handlungsrelevant. Die Aussage Information ist Wissen in Aktion transformiert sich in Information ist Desinformation in Aktion. Das ist ein systematisches Dilemma. Leider ist es nicht genug und oft auch nicht erfolgreich, die böse Information durch die sie widerlegende gute Information zu entlarven. Den Institutionen wie Wissenschaft, Politik und Medien stehen die auf persönliche Gefolgschaft und Desinformationen folgenden Personen mehr als nur skeptisch gegenüber und verweigern sich der informationellen Aufklärung. Hier ist die Bildung von umfassender informationeller Kompetenz gefordert. Dafür sollten Informationswissenschaft und Organisationen wie die DGI das methodische und praktische Rüstzeug entwickeln und bereitstellen. Dieser komplexe Zusammenhang soll in diesem Vortrag weiter ausgeleuchtet werden.

Prof. Dr. Rainer Kuhlen studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Soziologie. Nach einer Postgraduierten-Ausbildung zum Informationswissenschaftler an der Zentralstelle für maschinelle Dokumentation (ZMD) in Frankfurt lehrte er als Dozent am Lehrinstitut für Dokumentation (LID) in Frankfurt und promovierte an der Universität Regensburg. Es folgte 1980 auf eine Vertretungsprofessur für Computerlinguistik der Ruf auf eine C4-Professur für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz. Seit 2011 emeritiert nahm er seitdem  verschiedene Gastprofessuren an, z.B. in Bern, Chur, Graz, Hu-Berlin, Potsdam.Seine Forschungsschwerpunkte sind: experimentelles Information Retrieval/Automatisches Indexing/Abstracting, Hypertext,  elektronische Mehrwert-/Suchdienste, Kollaboratives Wissensmanagement im  E-Learning; Informationsethik, -politik, -recht, -markt, -wirtschaft; Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft, Geistiges Eigentum, Wissensökologie/Commons-Theorien, Publizieren im Open-Access-Paradigma


Keynote II

Von der Diskette zum Datenraum. Forschungsdatenmanagement als Teil der Informationsinfrastruktur

Der digitale Wandel verändert zunehmend die Art und Weise, wie wir Wissenschaft betreiben. Dies betrifft Methoden und Werkzeuge ebenso wie die Form der Informationsartefakte, die die Ausgangsbasis, Zwischenergebnis oder Resultat von Forschung sind. Digitale Forschungspraktiken erfordern entsprechende Informationsinfrastrukturen, um diese Daten zu speichern, aggregieren, analysieren, publizieren und archivieren. Erst durch die Kooperation der Forschung mit etablierten Playern wie Verlagen, Bibliotheken, Archiven, Museen sowie neuer Anbieter mit digitalen Kompetenzen lassen sich diese Infrastrukturen entwickeln und betreiben und damit zunehmend komplexe, digital ausgerichtete Verbundprojekte stemmen.

Neben Herausforderungen etwa im Bereich der Qualifizierung, der Finanzierung und des notwendigen Kulturwandels eröffnet der digitale Wandel aber auch Chancen, etwa bezüglich der Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit von Forschung. Voraussetzung hierfür ist die Verfügbarkeit von Forschungsdaten und -software und deren möglichst frühzeitige Publikation im Forschungsprozess im Sinn von „Open Science“. Diese Veränderungsprozesse aus der Wissenschaft heraus anzustoßen, zu begleiten und auch in den politischen Raum zu tragen, entstand 2014 der Rat für Informationsinfrastrukturen, der unter anderem die Etablierung der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) vorangetrieben hat. Die NFDI erschließt und vernetzt systematisch wertvolle Datenbestände von Wissenschaft und Forschung für das gesamte deutsche Wissenschaftssystem und macht sie qualitativ nutzbar. Auf europäischer Ebene wird die NFDI komplementiert durch die European Open Science Cloud (EOSC), die unterschiedlichste forschungsbezogene Dienste und Datenbestände in einer übergreifenden Infrastruktur aggregiert und anbietet.

Daten haben ein hohes kommerzielles Potential. Entsprechend gibt es mit den Common European Data Spaces und Gaia-X Initiativen, die ein föderiertes Datenökosystem aufbauen wollen. Dabei geht es einerseits um digitale Souveränität und Alternativen zu den großen amerikanischen „Big-Tech“-Firmen, andererseits um den Aufbau neuer, datengetriebener Geschäftsmodelle.

Aktuell stehen wir also vor einer komplexen und sich dynamisch verändernden Landschaft von Initiativen, Playern und Herangehensweisen. Trotz notwendiger Kooperation mit allen Playern sollten wir darauf achten, die bei weitem noch nicht erreichten Ziele von „Open Science“ durch eine Kommerzialisierung von Forschungsdaten zu gefährden. Diese Gefahr geht einerseits von Verlagen, andererseits von Datenräumen auf der Suche nach auch zukünftig funktionierenden Geschäftsmodellen aus.

Dipl.-Wirt.-Inf. (FH) Matthias Razum leitet den Bereich e-Research bei FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur. Von der Ausbildung her Wirtschaftsinformatiker, beschäftigt er sich seit Langem mit Fragen des Forschungsdatenmanagements und des digitalen Wandels in der Wissenschaft. Er hat in diesen Themenfelder eine Vielzahl von Forschungsprojekten quer durch alle Disziplinen initiiert oder ist daran maßgeblich beteiligt. Er engagiert sich intensiv in der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) und bringt sich auch wissenschaftspolitisch ein, etwa im Steuerungsgremium der Allianz-Initiative „Digitale Information“. Daneben verantwortet er die Softwareentwicklung und den Betrieb einiger großer Portale im wissenschaftlichen wie im kommerziellen Bereich, darunter die Deutsche Digitale Bibliothek, das Archivportal-D und das Forschungsdaten-Repository RADAR.