14. September 2023
Ankunft und Registrierung ab 9:00
10:00
Eröffnung und Grußworte: Monika Hagedorn-Saupe
Moderation: Monika Hagedorn-Saupe
Die gute und die böse Information – Information als Konstrukt für Information und Desinformation
Rainer Kuhlen
Die Debatte um den Informationsbegriff besteht seit es die Informationswissenschaft gibt, bzw. führte sie die DGD, als sie sich in DGI umtaufte. Die Vielzahl der Definitionsversuche lässt sich nach einem Vorschlag von Hans-Christoph Hobohm auf zwei Stränge reduzieren: zum einen auf ein epistemologisches Verständnis von Information, das sich auf Wahrheit, vorsichtiger auf überprüfbare Richtigkeit gründet. Exemplarisch hierfür steht die Philosophy of Information von Luciano Floridi. Sie kann die gute, auf Wissen führende Information genannt werden, wie sie traditionell von Informationsprofessionellen durch Nutzung von Bibliotheks- und Dokumentations- und Informationsdiensten, kurz: im Kontext von Fachinformation erarbeitet und vermittelt wird. Dem stehen systematisch gegenüber sozial-/kommunikationswissenschaftliche, konstruktivistische, pragmatische Theorien. Information ist kein Objekt, sondern ein Konstrukt: Was Information ist, was also Nutzende in Situationen informationeller Unsicherheit oder Unterbestimmtheit tatsächlich aus der auf sie einstürmenden oder ihnen zur Verfügung gestellten Information verwenden, was also zu Information wird, entscheiden letztlich sie – wobei das sicherlich nicht immer autonome Entscheidungen sind, dafür sind die darauf wirkenden (und oft manipulierenden) externen Einflussfaktoren zu groß. Handlungsrelevante Information ist auf den ersten Blick sicherlich auch die gute Information. Aber hier wird es ambivalent. Tatsächlich wird man kaum fehl mit der Vermutung gehen, dass die Informationsgesellschaft oft genug eher eine Desinformationsgesellschaft ist. Auch Information, die auf Desinformation beruht, ist nicht einfach nur falsche, böse Information, sondern sie ist für viele Menschen ebenfalls pragmatisch relevant, handlungsrelevant. Die Aussage Information ist Wissen in Aktion transformiert sich in Information ist Desinformation in Aktion. Das ist ein systematisches Dilemma. Leider ist es nicht genug und oft auch nicht erfolgreich, die böse Information durch die sie widerlegende gute Information zu entlarven. Den Institutionen wie Wissenschaft, Politik und Medien stehen die auf persönliche Gefolgschaft und Desinformationen folgenden Personen mehr als nur skeptisch gegenüber und verweigern sich der informationellen Aufklärung. Hier ist die Bildung von umfassender informationeller Kompetenz gefordert. Dafür sollten Informationswissenschaft und Organisationen wie die DGI das methodische und praktische Rüstzeug entwickeln und bereitstellen. Dieser komplexe Zusammenhang soll in diesem Vortrag weiter ausgeleuchtet werden.
Prof. Dr. Rainer Kuhlen studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Soziologie. Nach einer Postgraduierten-Ausbildung zum Informationswissenschaftler an der Zentralstelle für maschinelle Dokumentation (ZMD) in Frankfurt lehrte er als Dozent am Lehrinstitut für Dokumentation (LID) in Frankfurt und promovierte an der Universität Regensburg. Es folgte 1980 auf eine Vertretungsprofessur für Computerlinguistik der Ruf auf eine C4-Professur für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz. Seit 2011 emeritiert nahm er seitdem verschiedene Gastprofessuren an, z.B. in Bern, Chur, Graz, Hu-Berlin, Potsdam.
Seine Forschungsschwerpunkte sind: experimentelles Information Retrieval/Automatisches Indexing/Abstracting, Hypertext, elektronische Mehrwert-/Suchdienste, Kollaboratives Wissensmanagement im E-Learning; Informationsethik, -politik, -recht, -markt, -wirtschaft; Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft, Geistiges Eigentum, Wissensökologie/Commons-Theorien, Publizieren im Open-Access-Paradigma
11:00-11:35
Frühe Geschichte der DGD/DGI
Moderation: Marlies Ockenfeld
Um „deutsche Interessen zu vertreten“
Die Mitwirkung deutscher Dokumentare im Internationalen Institut für Bibliographie/Dokumentation und die Gründung der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation (DGD) 1928 bis 1945
Malte Stöcken
Als entscheidendes Motiv für die Gründung der DGD im Mai 1941 gilt bisher die Notwendigkeit der Einrichtung einer Zentralstelle, die zur Förderung der Rüstungsforschung und -industrie ausländische Zeitschriften beschaffen und verteilen sollte. Dagegen wurde die DGD nach der in diesem Vortrag vertretenden These gegründet, um außenpolitische Interessen der nationalsozialistischen Regierung zu vertreten. An erster Stelle stand nach ihrer Konstitution die Durchführung einer internationalen Tagung, um Dokumentare aus den befreundeten, neutralen und vor allem den besetzten Ländern im deutschen Sinn zu beeinflussen. Den Hintergrund bildete die Mitwirkung deutscher Dokumentare – Mitarbeiter von Auskunftsstellen, Fachbibliotheken und Referatenblättern – in den internationalen Organisationen des Bibliotheks- und Dokumentationswesens schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg. Nachdem die Entwicklung der deutschen Dokumentation in den 1920er Jahren skizziert wurde, werden die nationalen und internationalen Arbeiten der deutschen Dokumentare in der Zeit des „Dritten Reiches“ behandelt und schließlich die Gründung der DGD und ihre bis in den Mai 1945 durchgeführten Arbeiten analysiert.
11:35-11:50
Kaffeepause
11:50-13:10
Geschichte der DGD/DGI -„Aus dem Historischen Archiv“
Moderation: Barbara Müller-Heiden
Die DGD als Wegbereiterin informationswissenschaftlicher Dokumentation in Deutschland
Marlies Ockenfeld
Vorstand und Geschäftsführung der DGD haben von Beginn an Verantwortung für die Dokumentation und Informationsversorgung im Bereich von Dokumentation und Information übernommen. Die inhaltliche Erschließung als Grundlage eines zentralen Informationsdienstes für den gesamten Bereich des Informationswesens erfolgte in den ersten Dekaden mit der Dezimalklassifikation. Später wurden eine Fachordnung und ein Thesaurus erarbeitet. Referate, Bibliographien und Titellisten waren früh feste Bestandteile der Nachrichten für Dokumentation. Aus der Bibliothek wurde des Dokumentationszentrums für Informationswissenschaften (ZDOK) mit einem Dutzend hauptamtlich Beschäftigten. Sein Angebot umfasste Recherchen und Profildienste, Projekt-, Experten- und Institutionendokumentation sowie eine regelmäßige Veranstaltungsübersicht. Es nahm an internationalen Dokumentationsvorhaben sowie am überregionalen Leihverkehr teil, war nationale Sammelstelle für Thesauri und baute ab 1976 die Datenbank Infodata auf. 1978 übertrug die DGD ZDOK an die GID. ZDOK wurde zum Informationszentrum für Informationswissenschaft (IZ), das zuletzt an der FH Potsdam angesiedelt war.
Die berufsbegleitende Qualifizierung „Wissenschaftlicher Dokumentar“ – Eine Pionierleistung der DGD und ihres Lehrinstituts für Dokumentation (LID)
Achim Oßwald
Die Qualifizierung von Fachpersonal für die dokumentarische Praxis war seit den 1950er-Jahren ein zentrales Thema der DGD. Dieses Engagement war aus der Not geboren, denn der Bedarf an qualifiziertem Personal in der öffentlichen Verwaltung, bei Verbänden und in der Wirtschaft war enorm. Relativ bald wurde erkennbar, dass die entsprechenden Qualifizierungsangebote sinnvollerweise nach Vorkenntnissen und Qualifikationsebenen differenziert werden sollten. Ab 1966 bis 1991 wurden vom LID entsprechende Lehrgänge, bald als Jahreslehrgänge (JH) bezeichnet, zur Qualifizierung von Wissenschaftlichen Dokumentar*innen angeboten. Das aus heutiger Perspektive als berufsbegleitende Weiterbildung zu bezeichnende Qualifizierungskonzept kombinierte – auf ein Kalenderjahr verteilt – die berufspraktische Erfahrung der Teilnehmenden mit generischen, methodischen Kenntnissen, die am LID vermittelt wurden. Diese Kombination, die im Laufe der Jahre konzeptionell und didaktisch weiterentwickelt wurde, erwiese sich als Erfolgsmodell, das insbesondere auch für den Medienbereich, aber auch zur Qualifizierung von Akademiker*innen ohne ausgeprägte dokumentarische Vorerfahrung interessant wurde. Über mehrere Berufsgenerationen hinweg prägten seine Absolvent*innen die Praxis in vielen einschlägigen Institutionen. Die Grundstruktur dieses berufsbegleitenden Qualifizierungskonzeptes wurde ab 1992 erfolgreich am Institut für Information und Dokumentation (IID) der FH Potsdam weitergeführt. Sie spiegelt sich heute allerdings auch in mehreren berufsbegleitenden Masterstudiengängen nicht nur im LIS-Bereich wider und bestätigt damit die Grundidee dieser bildungspolitischen Pionierleistung.
Arbeitsausschüsse, Komitees, Fachgruppen: Inhaltliche Arbeit der DGD
Barbara Müller-Heiden
Von Beginn an war in der DGD-Satzung die inhaltliche Arbeit durch Arbeitsausschüsse vorgesehen. Seit den 1950er Jahren wurden Ausschüsse gebildet, in jedem Jahrzehnt kamen Neugründungen hinzu – entsprechend dem jeweiligen thematischen Bedarf der Zeit: Von Eisenbahntechnik bis Medizin, Elektrotechnik bis Sozialwissenschaften, Reprografischen Methoden bis Onliner-Benutzergruppen, hinzu kamen regionale Arbeitskreise. Es gehörte zum Selbstverständnis der DGD wie dem ihrer Mitglieder die Zusammenarbeit unter dem Dach der DGD zu suchen. Konkrete Motive waren Aufbau und Betrieb einer Dokumentationsstelle zum betreffenden Themengebiet einschließlich der Qualifizierung des Personals durch die DGD, darüber hinaus die Methodik der Sammlung von Fachliteratur, die Arbeit an der Fachterminologie und die Erarbeitung der Fachspezifik innerhalb der Dezimalklassifikation. Der Mehrwert ergab sich durch personelle Verflechtungen und Teilhabe am institutionellen Wissen der DGD. Viele der Ausschüsse versiegten – oder verselbstständigten sich, wurden Teil ihrer jeweiligen Fachgesellschaft, und die Verbindungen zur DGI brachen ab. In jedem Fall trugen und tragen Personen mit Engagement, häufig gekoppelt mit ihren beruflichen Positionen, zur Fortentwicklung der DGD bei.
13:10-13:30
Zeitschriftendigitalisierung im Informationsbereich
Moderation: Marlies Ockenfeld
Das Digitale Archiv der NfD / IWP
Walter Claassen
14:30-15:50
Workshops (parallel)
(Informations-)Wissenschaft aus Bürgersicht: Das partizipative Projekt ‘Ideen Lauf’ – nachempfunden anhand der Themen Informationsgesellschaft und Digitalisierung
Matti Stöhr, Emma Waltersbacher
Wie kommen wir vom Wissen zum Handeln? Wie wird die digitale Gesellschaft der Zukunft funktionieren? Wie kann bürgerschaftliches Engagement und Teilhabe in wissenschaftlichen Prozessen aussehen? Diese und viele weitere Fragen wurden im Rahmen der Partizipationsinitiative IdeenLauf im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2022 aufgeworfen, diskutiert sowie eingeordnet. Im Workshop werden Sie dazu eingeladen, nach Vorbild des IdeenLaufs Ihre eigenen Fragen für die Wissenschaft zu den Schwerpunkten Informationsgesellschaft und Digitalisierung zu formulieren und diese ausgewählten IdeenLauf-Clustern zuzuordnen. Hierzu findet ein intensiver Austausch sowohl im Plenum als auch in Gruppenarbeit statt. Durch den Abgleich mit den eingereichten Fragen aus der Bevölkerung wird Ihnen ein Perspektivwechsel ermöglicht. Was interessiert die Bevölkerung in diesen Themenfeldern? Zu welchen Fragen wird bereits geforscht?
Knowledge Café: Transdisziplinäres Wissen und Handeln in der Informationsgesellschaft
Waltraut Ritter, Andreas Matern
In den Debatten um die Klimakrise als Herausforderung für unsere bisherigen Herangehensweisen des gesellschaftlichen Wissens und Handelns wird zunehmend der Ruf nach transdisziplinärer Forschung laut. Die Notwendigkeit dafür besteht insbesondere, wenn das vorhandene Wissen unsicher ist, wenn umstritten ist, worin die Probleme genau bestehen, und wenn für die direkt oder indirekt Involvierten oder Betroffenen viel auf dem Spiel steht. Claus Leggewie, Leiter des “Panels on Planetary Thinking” an der Uni Gießen, möchte die Disziplinengrenzen überwinden und diese im Sinne einer planetaren Gesamtperspektive erweitern. Ökologische Katastrophen gehen alle an, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, und Politik, aber das gesellschaftliche Wissen ist fragmentiert und es gibt kein Erfahrungswissen mit Krisen planetarer Größenordnung. An der TU Berlin wurde im März 2023 eine “Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung” gegründet , um auf die steigende Nachfrage nach transdisziplinärer Forschung zu antworten und die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Praxisakteuren mit partizipativen Forschungsformaten zu fördern. Dies sind nur zwei Bespiele, die transdisziplinäres und planetares Wissen und Lernen fördern. Sie betonen, dass neben der Vermittlung von Fakten auch körperliche, affektive und materiale Praktiken einbezogen werden sollen, um die jeweilige Komplexität zu erfassen. Das Knowledge Café ist eine Einladung zur Frage, wie Information Professionals, deren Ausbildung oft auf fachübergreifenden Sicht- und Denkweisen basiert, zum transdisziplinären Wissen und Handeln beitragen können?
Quiz: Jeopardy ist tot – lang lebe Jeopardy
Matthias Ballod
Interaktive Session - eine Mischung aus Quiz und World-Café rund um Information, Wissenschaft, Praxis, und natürlich KI.
16:20-17:200
Desinformation und KI
Moderation: Luzian Weisel
Gut – böse, wahr – falsch? Zweckmäßige Information – Unzweckmäßige Dichotomien!
Matthias Ballod
In Replik auf die Keynote der Veranstaltung wird ein anderer Weg zur Annäherung an den Informationsbegriff gewählt, hinsichtlich des Erwerbs von Wissen und seinem Erwerb, vor allem aber auch bzgl. der Vermittlung von Wissen und der Bewältigung von Information. Anhand von Didaktik, Geschichtsschreibung, Wissenschaft zur Lüge, Fake-News, Desinformationskampagnen, Propaganda, Sprache und Interpretation, Vagheit von Sprache soll gezeigt werden, dass die verwendeten Dichotomien 'untauglich' sind, will man dem Informations- und dem Wissensbegriff gerecht werden. Individuelle Informationskompetenz (Emanzipation, Kritik, Toleranz) bildet dabei den Schlüssel!
Daten-Information-Wissen (-Weisheit): Versuch einer begriffsanalytischen Annäherung
Jonathan Geiger
In der Informationswissenschaft und verwandten Feldern stößt man immer wieder auf eine Reihe grundlegender und scheinbar vorausgesetzter bzw. vorauszusetzender Begriffe. Insbesondere die Begriffe „Daten“, „Information“ und „Wissen“ (und ferner auch „Weisheit“) finden sich – einzeln oder in Kombination bzw. Assoziation – in vielen disziplin-spezifischen Modellen und Theorien wieder und scheinen als ein intuitives Begriffsfeld den semantischen Grund für große Teile der Informationswissenschaft zu bereiten. Allerdings reflektieren bzw. definieren viele dieser Modelle und Theorien die Begriffe nicht oder nur vage oder deuten deren Beziehungen zueinander standardmäßig über die kritisch zu reflektierende sogenannte „DIKW-Pyramide“. Der Vortrag wagt in der Kürze der gegebenen Zeit den Versuch, die verschiedenen Deutungsansätze der einzelnen Glieder des Modells als auch deren Beziehungen zueinander zu skizzieren, zu analysieren, eine begriffshistorische Perspektive aufzubauen und die konzeptuellen Unterschiede kontrastiv herauszustellen, um das komplizierte Begriffsnetz zu einem komplexen (dynamischen) werden zu lassen. Dabei sollen philosophische, technische und informationswissenschaftliche Lesarten der Begriffe berücksichtigt werden.
17:20-17:30 Grußworte
17:30-18:45
Postersession
Ankündigung: Tamara Heck
Wissenstransfer und Informationsverhalten im sonderpädagogischen Förderungssystem – Poster
Ilsa Quick
Praxisbeispiel: Chatbot für den Deutschen Bildungsserver
Robina Mohammad
Bewertung und Nachnutzung von Forschungsdaten unter Berücksichtigung des Persönlichen Informationsmanagements von Forschenden – Poster
Katharina Schobert
Forschungsdaten für Forschungssynthesen am Beispiel des Metavorhabens digi-ebf – Poster
Carolin Keller
Artificial Intelligence (AI) Research Assistants in der Praxis
Sylvia Kullmann, Johannes Hiebl
DGI-Fachgruppe „Theorie und Methoden der Informationswissenschaft“
Sylvia Kullmann
Information, Wissenschaft & Praxis von 2012 bis 2022 – eine bibliometrische Analyse
Patrick Brimioulle, Ilsa Molko, Tamara Heck
Datenkompetenz von Anfang an! Das Projekt DALIA der NFDI Sektion Training & Education
Jonathan Geiger und Canan Hastik
Ab 19:00
Sektempfang und Abendprogramm
mit einem Vortrag von Joachim-Felix Leonhard
15. September 2023
Beginn ab 9:00
9:15-10:15 Die Informationswissenschaft
Moderation Sylvia Kullmann
Panel: Goldene Jahre oder Agonie – Wie ist die Informationswissenschaft in Deutschland für die kommenden Jahre und Jahrzehnte aufgestellt
Dirk Tunger, Ulrich Herb
Die letzten Jahre sind nicht gut gelaufen für die Informationswissenschaft in Deutschland: Schaut man sich die Entwicklung an, so scheint es nur noch bergab zu gehen, ohne dass ein Silberstreif am Horizont zu erkennen wäre. Einziger Hauptabnehmer für Informationswissenschaftler scheinen noch staatliche Rundfunkanstalten und Bibliotheken zu sein. Was bedeutet dieser Wandel für das Berufsbild "Bibliothekar" und für Bibliotheken? Welche Fertigkeiten brauchen Beschäftigte hier zukünftig? Sind hier "Forschungsdatenmanagement" und "Open Access" Themen, von denen das Berufsbild auf Dauer leben kann? Wie tief können und wollen künftige Mitarbeitende in Bibliotheken in Programmierung einsteigen, geht es noch ohne Python und wie tiefgreifend sind die Kenntnisse, die im Studium hier vermittelt werden können? Was unterscheidet Informationswissenschaftler*innen dann noch von Fachinformatiker*innen für Daten- und Prozessanalyse? Und was bleibt für Biblothekspersonal, das nicht IT-affin ist? Die Open-Access-Transformation, speziell die DEAL-Abschlüsse, machen Bibliothekar*innen weitgehend zu Buchhalter*innen der großen Verlage, die Rechnungsbearbeitung (und teils auch originäre Verlagsarbeit wie Affiliationsprüfungen übernehmen) und rein gar keine bibliothekarischen Tätigkeiten übernehmen.
Über all diese offenen Fragen und die Zukunftsperspektive der Informationswissenschaft insgesamt wollen wir mit hochrangigen Vertretern der Branche sprechen.
10:20-11:00
Keynote II
Moderation: Margret Schild
Von der Diskette zum Datenraum. Forschungsdatenmanagement als Teil der Informationsinfrastruktur
Matthias Razum
Der digitale Wandel verändert zunehmend die Art und Weise, wie wir Wissenschaft betreiben. Dies betrifft Methoden und Werkzeuge ebenso wie die Form der Informationsartefakte, die die Ausgangsbasis, Zwischenergebnis oder Resultat von Forschung sind. Digitale Forschungspraktiken erfordern entsprechende Informationsinfrastrukturen, um diese Daten zu speichern, aggregieren, analysieren, publizieren und archivieren. Erst durch die Kooperation der Forschung mit etablierten Playern wie Verlagen, Bibliotheken, Archiven, Museen sowie neuer Anbieter mit digitalen Kompetenzen lassen sich diese Infrastrukturen entwickeln und betreiben und damit zunehmend komplexe, digital ausgerichtete Verbundprojekte stemmen.
Neben Herausforderungen etwa im Bereich der Qualifizierung, der Finanzierung und des notwendigen Kulturwandels eröffnet der digitale Wandel aber auch Chancen, etwa bezüglich der Nachvollziehbarkeit und Reproduzierbarkeit von Forschung. Voraussetzung hierfür ist die Verfügbarkeit von Forschungsdaten und -software und deren möglichst frühzeitige Publikation im Forschungsprozess im Sinn von „Open Science“. Diese Veränderungsprozesse aus der Wissenschaft heraus anzustoßen, zu begleiten und auch in den politischen Raum zu tragen, entstand 2014 der Rat für Informationsinfrastrukturen, der unter anderem die Etablierung der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) vorangetrieben hat. Die NFDI erschließt und vernetzt systematisch wertvolle Datenbestände von Wissenschaft und Forschung für das gesamte deutsche Wissenschaftssystem und macht sie qualitativ nutzbar. Auf europäischer Ebene wird die NFDI komplementiert durch die European Open Science Cloud (EOSC), die unterschiedlichste forschungsbezogene Dienste und Datenbestände in einer übergreifenden Infrastruktur aggregiert und anbietet.
Daten haben ein hohes kommerzielles Potential. Entsprechend gibt es mit den Common European Data Spaces und Gaia-X Initiativen, die ein föderiertes Datenökosystem aufbauen wollen. Dabei geht es einerseits um digitale Souveränität und Alternativen zu den großen amerikanischen „Big-Tech“-Firmen, andererseits um den Aufbau neuer, datengetriebener Geschäftsmodelle.
Aktuell stehen wir also vor einer komplexen und sich dynamisch verändernden Landschaft von Initiativen, Playern und Herangehensweisen. Trotz notwendiger Kooperation mit allen Playern sollten wir darauf achten, die bei weitem noch nicht erreichten Ziele von „Open Science“ durch eine Kommerzialisierung von Forschungsdaten zu gefährden. Diese Gefahr geht einerseits von Verlagen, andererseits von Datenräumen auf der Suche nach auch zukünftig funktionierenden Geschäftsmodellen aus.
11:00-11:30
Kaffeepause
11:30-13:00
Informationsinfrastrukturen
Moderation: Michael Borchardt und Axel Ermert
Wissenschaftliche Videos in der „BID-Community” – Möglichkeiten und Mehrwerte mit dem TIB AV-Portal
Matti Stöhr
Der Einsatz von Videos in der Wissenschaftskommunikation und Informationspraxis hat eine lange Tradition. Mit den sozialen Medien hat sich dieser Trend noch verstärkt. Video ist Zeitgeist. Heutzutage werden etwa immer mehr wissenschaftliche Veranstaltungen aufgezeichnet und online veröffentlicht. Es entstehen unzählige wissenschaftliche Erklärfilme. Wissenschaftsvideos tragen dazu bei, Forschungserkenntnisse an die Wissenschaft selbst, aber auch an Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik zu vermitteln. Hier sind auch Akteure im Sektor Bibliothek, Information und Dokumentation zunehmend aktiv.
Die TIB - Leibniz-Informationszentrum für Technik und Naturwissenschaften hat bereits 2010 mit dem Aufbau eines Videoportals begonnen. Das TIB AV-Portal (https://av.tib.eu) ging 2014 an den Start und wird seither kontinuierlich weiterentwickelt. Aufgabe und Anspruch des AV-Portals ist es, der Wissenschaft und interessierten Öffentlichkeit eine wachsende, offene Plattform zu bieten, um wissenschaftliche Videos zu konsumieren, zu veröffentlichen und zu teilen, die rechtssicher, langzeitarchiviert und zitierfähig sowie mit weiteren innovativen Funktionen und Diensten wie der automatischen Videoanalyse und -verschlagwortung angereichert sind. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf Naturwissenschaft und Technik, die Plattform ist aber für alle Disziplinen offen. Aktuell sind über 40.000 Medien, die meisten unter einer Open Access-Lizenz, veröffentlicht.
Dieser Beitrag zeigt anhand des TIB AV-Portals Möglichkeiten und Mehrwerte der Information und Dokumentation mit audiovisueller Wissenschaftskommunikation auf.
Inklusive Terminologie für die Inhaltliche Erschließung und Indexierung
Beate Früh, Elisabeth Evers
Inklusive Sprache als Ausdruck der Diversität. Ein Großteil der inklusiven Sprache macht die geschlechtersensible Sprache aus. Durch ihre Verwendung sollen die verschiedenen Geschlechter und Identitäten repräsentiert und angesprochen werden oder es soll das Geschlecht durch geschlechtsneutrale Formulierungen in den Hintergrund rücken. In diesem Beitrag geben die beiden Autorinnen zunächst einen kurzen theoretischen Überblick über die verschiedenen Arten von Geschlechtern und Ausprägungen von Gendertypen in Bezug auf Personen, Berufs- und Amtsbezeichnungen. Auf Basis der terminologischen Merkmalsanalyse werden zwei Optionen aufgezeigt, Konzepte zu definieren. Durch Beispiele werden Bedeutung, sowie Vor- und Nachteile beider Optionen in Bezug auf Thesauruseinträge illustriert. Der Beitrag stellt nicht die allgemein weit verbreitete Praxis des Genders an sich in Frage. Er liefert einen pragmatischen Ansatz auf die Anwendung von Gendersprache im Rahmen der Indexierung und inhaltlichen Erschließung. Ziel ist es Zuhörern eine pragmatische Wegleitung und Argumentationsgrundlage mitzugeben, warum im Kontext der Indexierung und Metadaten genderspezifische Formen als Deskriptoren im Thesaurus eher wenig taugen, und neben geschlechtsneutralen Personenbezeichnungen weiterhin nicht auf den Gebrauch von geschlechtsübergreifenden Nomina Agentis und generischen Personenbezeichnungen mit maskulinem Genus verzichtet werden muss. Es wird außerdem auf mögliche Gefahren bei der Anwendung von Partizipialformen als Ersatzformen und auf die Notwendigkeit des Genderns bei Komposita eingegangen.
Entwicklungen im Qualitätsmanagement und in der Indikatorik: Eine Folgeuntersuchung zum Einsatz von Webanalyse in überregionalen Informationsinfrastrukturen – Paper
Sigrid Fahrer, Marc Rittberger
Die Frage, wie User mit Websites, Datenbanken und anderen online verfügbaren Plattformen interagieren und sie nutzen, ist so alt wie das Internet selbst. Um diese Frage zu beantworten, setzten Websitebetreiber schon früh Datenerfassungstechnologien ein, die die Nutzung einer Website aufzeichnen und die sich unter dem Begriff Webanalyse zusammenfassen lassen. Die gebräuchliche Definition versteht unter Webanalyse die Messung, Sammlung, Analyse und Berichterstattung von Webdaten zum Zwecke des Verständnisses und der Optimierung der Webnutzung. Im Gegensatz zur qualitativen Nutzerforschung ist die Webanalyse weniger aufwendig und kostspielig in der Durchführung. Sie findet auch in der Bildung Anwendung, vor allem im Bereich der digitalen Informations- und Auskunftssysteme, wie sie von Bildungs- oder Forschungseinrichtungen angeboten werden. In der 2016 erschienen Studie „Einsatz von Webanalyse in überregionalen Informationsstruktureinrichtungen“ untersuchten Böhm und Rittberger den Verbreitungsgrad der Webanalyse innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft und trugen so zur Erforschung der Leistungsbewertung für Infrastrukturen der Wissenschaft bei. Die Studie wird nun wiederholt, um die Entwicklungsschritte beim Einsatz der Webanalyse in den Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft nach sechs Jahren nachzuzeichnen. Die zentralen Ergebnisse der Folgestudie werden im Beitrag zum Symposium vorgestellt und diskutiert. Fokus liegt dabei auf den Rahmenbedingungen, mit denen sich Einsatz von Webanalyse für die Qualitätsbewertung von Infrastrukturen befördern lässt.
Literatur suchen – Texte finden – Forschende vernetzen Der Fachinformationsdienst Buch-, Bibliotheks- und Informationswissenschaft
Anna Lingnau
Seit 2017 stellt der Fachinformationsdienst Buch-, Bibliotheks- und Informationswissenschaft (FID BBI) Spezialliteratur und forschungsrelevante Informationen für Forschende der drei Disziplinen zur Verfügung. Das Herzstück des FID bildet das umfangreiche Rechercheportal, das in der ersten Förderphase aufgebaut wurde und in dem die Nutzer*innen in über 4 Millionen Datensätzen gezielt recherchieren können. Im Vortrag werden der FID und die Funktionen des Rechercheportals kurz vorgestellt. Im Anschluss antworten wir gern auf Fragen und freuen uns auf Anregungen aus dem Publikum.
FID Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung goes Open Science
Christoph Schindler
Der Fachinformationsdienst (FID) im Fachportal Pädagogik ermöglicht eine offene wissenschaftliche Informationsversorgung von der fachlichen Recherche bis zum freien Zugriff auf Forschungsliteratur und weitere Ressourcen. Der FID baut in der dritten Förderphase (2021-2023) seine etablierten Services mit integriertem Such- und Nachweisraum, mit Buchbestell- und Digitalisierungsangeboten sowie mit der Bereitstellung von Online-Ressourcen im Sinne einer offenen Wissenschaft aus. Mit dem Wissensgraph Bildung wird die Zielsetzung verfolgt, den Such- und Nachweisraums zur zentralen Referenzinfrastruktur für Open Science in der Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung zu entwickeln. Darin werden fachlich relevante Ressourcen und Akteur*innen miteinander verknüpft und offene Schnittstellen für Produzierende und Nutzende unter FAIR-Prinzipien erstellt. Gemeinsam mit dem fachlichen Repositorium peDOCS wird die fachliche Transformation zu Open Access angestrebt und neben einer verlagsübergreifenden Förderung von 40 OA-Monografien (Crowdfunding) eine OA-Publikationsplattform entwickelt. Zudem wird für Systematische Recherchen ein Such-Interface entwickelt, welches eine transparente Dokumentation durch Nachvollziehbarkeit der Suchanfragen erlaubt (offene Syntax) und die Kombination von Suchanfragen aus der Search History ermöglicht. Um diese Entwicklungen bedarfsorientiert und partizipativ anzugehen, werden die wissenschaftlichen und bibliothekarischen Fachcommunitys über Projektbeiräte, Workshops, Online-Umfragen und Rundgespräche aktiv einbezogen
13:00-13:45
Mittagspause
13:45-15:00 Desinformation und Informationskompetenz I
Moderation: Gesine Andersen und Tamara Heck
Panel: Mis-, Des-, Fake,-et al, – Perspektiven zur Informationskompetenz aus der Bibliotheks- und Informationswissenschaft – Panel
Stefan Dreisiebner, Fabian Franke, Joachim Griesbaum, Tamara Heck, Maria Henkel, Oliver Schoenbeck, Luzian Weisel
In einer Zeit, in der Mis- und Desinformationen (Fake News) allgegenwärtig sind, ist es von entscheidender Bedeutung, die Fähigkeit zu besitzen, Informationen zu finden und kritisch zu bewerten. Desinformation gilt als substanzielle Bedrohung sowohl hinsichtlich der Gesundheit von Menschen als auch in Bezug zur gesellschaftlichen Ordnung und demokratischen Systemen. Besonders junge Menschen sind verstärkt mit Falschinformationen und Verschwörungsnarrativen konfrontiert. Informationskompetenz ist daher wichtiger denn je. Sie betrifft viele Lebensbereiche und gerade auch alltagsbezogene Informationskontexte, in denen die Suche und Bewertung von Information anspruchsvoll sein kann. Herausforderungen bestehen insbesondere hinsichtlich der kontextualisierten Vermittlung, dem Aufkommen von Künstlicher Intelligenz (KI) und den Veränderungen digitaler Suchinfrastrukturen und lokaler und globaler Informationsmärkte. Das Panel konzentriert sich auf drei wesentliche Fragen, die in aktuellen Projekten und Initiativen zur Informationskompetenz diskutiert werden: Erstens, wie kann Informationskompetenz dazu beitragen, Mis- und Desinformationen effektiv entgegenzutreten und wie kann sie erfolgreich vermittelt werden? Zweitens, wie sollten wir auf die fortschreitende Entwicklung von Künstlicher Intelligenz reagieren und Informationskompetenz in diesem Zusammenhang stärken? Drittens, wie können wir die Komplexität unserer Informationsumwelten besser verstehen und interkulturelle Lernangebote nutzen, um Informationskompetenz zu fördern?
15:15-16:15
Desinformation und Informationskompetenz II
Moderation: Gudrun Schmidt
Fake News und Informationskompetenz: eine Fishbowldiskussion
Jonathan D. Geiger und Gudrun Schmidt (FG INFOGES), Gesine Andersen und Sylvia Kullmann (FG IKB)
mit einem Impuls von Juliane Stiller und Violeta Trkulja (Grenzenlos Digital)
Die Phänomenfamilie Fake News, Desinformation und Verschwörungsnarrative sind historisch gesehen keine neuen Phänomene, gewinnen aber durch das Internet, moderne Informations- und Kommunikationsmedien und soziale Netzwerke eine neue problematische Qualität. Damit eröffnet sich ein Fragenpanorama: 1. Wer produziert Fake News und warum? 2. Wie funktioniert die flächige Verbreitung von Fake News in Massenmedien und Social Media und warum? 3. Wie wirken Fake News bei der Rezeption? 4. Wie können Fake News auf den unterschiedlichen Ebenen verhindert oder aushebelt werden und wer kann/sollte das tun? Mit diesem Diskussionsformat versuchen die DGI Fachgruppe Information und Gesellschaft und der DGI Arbeitskreis Informationskompetenz und Bildung eine neue Perspektive auf diese interdisziplinären Phänomene zu entwerfen. Einem inhaltlichen Impuls der Referentinnen Dr. Juliane Stiller und Dr. Violeta Trkulja (beide von Grenzenlos Digital e. V.) folgt eine Fishbowldiskussion, die es den Teilnehmenden der Session ermöglicht, an der Diskussion direkt partizipieren zu können. Inhaltlich wird der Versuch einer theoretischen Analyse der Phänomene unternommen und praktische Möglichkeiten des Entgegenwirkens, unter anderem die Vermittlung von Informations- und Medienkompetenz und die Schaffung von Rahmenbedingungen für mehr mediale Transparenz, untersucht.
16:15
Verabschiedung
Monika Hagedorn-Saupe
16:30
DGI-Mitgliederversammlung