Sylvia Kullmann
Dass wir dem Ende der klassischen Trefferliste zur Anzeige von Suchergebnissen entgegengehen, wird in diesen Tagen stark diskutiert. Die großen Suchmaschinenanbieter Google und Bing integrieren KI-Sprachmodelle in ihre Produkte. Zu der bisherigen Trefferliste werden Nutzenden nun auch ausformulierte Antworten auf Suchanfragen versprochen. Mit Perplexity AI, you.com und Neeva kämpfen weitere Anbieter um die Gunst der Kunden. Künstliche Intelligenz spielt dabei überall eine zentrale Rolle. Und auch wenn nicht alles reibungslos läuft, wie die jüngsten Meldungen rund um die Einschränkungen der KI-Funktionen im Betatest des neuen Bing zeigen, kann man doch sagen: Die Zukunft der Suche hat begonnen!
Die aktuelle Ausgestaltung der neuen Suchmaschinenlösungen lässt vermuten, dass mit der Integration von KI-Technologien in Suchangebote eine Veränderung des Informationsverhaltens von Nutzenden einhergehen könnte. Schon heute haben bei alltäglichen Suchen im Internet Ergebnisse jenseits der Plätze 1 bis 10 auf der Trefferliste kaum eine Chance wahrgenommen zu werden. Für die Mehrzahl der Nutzenden wird eine vollständig ausformulierte Antwort, die vom Suchsystem erstellt und auf Wunsch vielleicht sogar vorgelesen wird, sehr viel attraktiver sein als eine Darstellung von Suchergebnissen in Listenform. Der bisherige Suchprozess, der vom Bewusstwerden und Konkretisieren eines Informationsbedarfs, der Wahl geeigneter Informationsquellen/-anbieter, der adäquaten Formulierung einer Suchanfrage bis hin zu Bewertung, Auswahl und Weiterverarbeitung geeigneter Informationsangebote reicht und jeden dieser Schritte gleichermaßen betont, wird in diesem Fall stark verkürzt. Im Fokus stehen dann nur noch die perfekt formulierte Suchanfrage und – im Idealfall – das kritische Bewerten des gelieferten Antworttextes.
Welche Qualität mit Blick auf Kriterien wie Relevanz, Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität Nutzende von den generierten Antworttexten erwarten, wird wie bisher auch maßgeblich von der zugrundeliegenden Fragestellung und dem jeweiligen Kontext abhängen. Bei einfachen Fragen des alltäglichen Lebens wird der Anspruch zumeist geringer sein als bei Fachfragen in professionellen Umfeldern. Genau an dieser Stelle wird es für Anbieter von Informationsinfrastrukturen wie Rechercheplattformen, Bibliotheken und Fachinformationszentren spannend. KI-Sprachmodelle ermitteln die von ihnen ausgegebenen Texte letztlich mit Hilfe von mathematischen Algorithmen. Dabei kommt es vor, dass Texte zwar „rechnerisch richtig“, faktisch aber falsch sind. Das System halluziniert in diesen Fällen, wie es KI-Fachleute salopp ausdrücken. Ergebnis von solchen Halluzinationen können neben sachlich falschen Darstellungen natürlich auch fehlende oder erfundene Quellenangaben sein.
Professionelle Anbieter, die eine hohe Qualität ihrer Angebote anstreben, sehen sich an dieser Stelle besonderen Herausforderungen gegenüber. Wenn Nutzende nicht mehr nur eine Trefferliste erwarten mit der sie in Eigenregie weiterarbeiten können, sondern zusätzlich eine inhaltlich korrekte, vollständige und nachvollziehbare Auswertung der selektierten Suchergebnisse (gewissermaßen ein automatisch erstelltes Literatur Review oder einen „Super Abstract“ aus allen relevanten Informationsobjekten), stellen halluzinierende KI-Systeme ein gravierendes Problem dar. Doch nicht nur das. In vielen Fällen stehen aktuell zwar die formalen und inhaltlichen Metadaten von Informationsobjekten zur Suche bereit, nicht aber diese selbst. Die Inhalte sind grundlegende Voraussetzung für eine Arbeit mit KI-Technologien. Neben der Sicherstellung des Zugriffs auf die Volltexte wird die Klärung rechtlicher Fragen kein leichtes Unterfangen darstellen. Dürfen Texte mit KI überhaupt verarbeitet werden? Welche Kosten gehen damit einher? Welche Qualitätssicherungsverfahren werden benötigt, um urheberrechtlich unproblematische Textkorpora für KI-Anwendungen zu erhalten? Wie verhält es sich mit dem Datenschutz? Fragen, auf die Antworten gefunden werden müssen.
Die für alle sichtbaren Entwicklungen der vergangenen Wochen machen deutlich, dass sich auch Anbieter von Informationsinfrastrukturen und -diensten mit den Technikfolgen von KI befassen müssen. Welche konkreten Auswirkungen KI-Technologien auf das Kerngeschäft von Informationseinrichtungen tatsächlich haben werden, ist derzeit noch nicht vollständig absehbar. Die aktive Beschäftigung mit den Möglichkeiten und Grenzen von KI ist daher umso wichtiger, um Entwicklungen frühzeitig aktiv gestalten zu können. Als Fachgesellschaft geht die DGI gemeinsam mit dem Informationszentrum Bildung des DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation im Rahmen der Vortragsreihe KI – Vom Wunderkind zum Allrounder derzeit zentralen Fragen im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz nach. Auch auf der DGI Jubiläumstagung am 14. und 15. September 2023 in Frankfurt am Main besteht Gelegenheit, diese Fragen zu diskutieren.