INTERDISZIPLINÄRE TAGUNG
Verantwortung in digitalen Kulturen –
Privatheit im Geflecht von Medien, Recht und Gesellschaft
Passau, 9.-11. Mai 2019
Das DFG-Graduiertenkolleg 1681/2 „Privatheit und Digitalisierung“ geht den Fragen nach, welche Formen Privatheit in einer digitalen Gesellschaft annehmen kann und welche Chancen und Risiken dabei zu vergegenwärtigen sind. Die Konsequenzen für Menschen, Politik und Wirtschaft werden im Kontext kultureller, sozialer und rechtlicher Rahmungen erforscht.
Aktuell weckt die zunehmende Komplexität vernetzter Systeme grundsätzlich Zweifel an der Selbstbestimmtheit und individuellen Verantwortbarkeit der IT- und Internetnutzung. Ungeklärt ist zum Beispiel, inwiefern das Datenschutzprinzip der ‚informierten Einwilligung‘, wie es etwa die europäische Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO) vorsieht, bei komplexen Verarbeitungsmechanismen und den entsprechend ausführlichen und sprachlich anspruchsvollen Datenschutzerklärungen noch greift. Hinzu kommt, dass beispielsweise im Kontext von Big-Data-Verfahren das exakte Ausmaß aller zukünftigen Datenverarbeitungen gerade nicht vorhergesagt werden kann.
Im Zusammenhang mit der nunmehr eingetretenen Geltung der EU-DSGVO und den Diskussionen um die geplante ePrivacy-Verordnung wurde allerdings auch der dahinterstehende Regulierungsanspruch und das ‚In-die-Pflicht-Nehmen‘ der Anbieter von Inhalten, Diensten, Plattformen und Infrastrukturen kontrovers diskutiert. Hier wurde der Schutz von Privatheit auf der einen Seite als Gefahr für Wirtschaft, Innovationen und Internetfreiheit dargestellt, auf der anderen Seite gingen die Maßnahmen für viele nicht weit genug. Neben diesen Aspekten des informationellen Privatheitsschutzes geraten zudem Fragen des Schutzes und der Gefährdung der freien Meinungsäußerung durch Plattformanbieter in den Fokus.
Diese Debatten zeigen, dass Fragen nach der rechtlichen, politischen, ethischen, sozialen oder auch ökonomischen Verantwortung für die Folgen der digitalen Umwälzungen, denen sich Gesellschaften, Kollektive und Individuen ausgesetzt sehen, aktuell noch ungeklärt sind bzw. eine vertiefende Beschäftigung benötigen. Inwieweit bedarf es einer rechtlichen, pädagogischen, ökonomischen oder anderweitigen Steuerung der zunehmenden, häufig kaum umkehrbaren Determination der Menschen durch technische Entwicklungen oder der digitalen Erfassung nahezu aller Lebensbereiche? Unklar ist hierbei das Verhältnis von ökonomischen, politischen und sozialen Systemen, aber auch, wo die Verantwortung einzelner Nutzer*innen beginnt, die mit ihrem Datenverhalten zwar individuellen (ökomischen, sozialen etc.) Wert generieren, jedoch analog zum Umweltschutz auch Verantwortung für einen nachhaltigen Umgang mit Daten in Bezug auf nachfolgende Generationen tragen. Diese Mikroebene der Verantwortung ist darüber hinaus eng an den Grad der Medienkompetenz der Akteur*innen gebunden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die tatsächlichen Ausmaße und Konsequenzen des in der Politik und anderen gesellschaftlichen Diskursen so häufig proklamierten Verlusts an Datensouveränität – ohne vertiefende Untersuchungen der zugrunde liegenden medialen Strukturen und Praktiken – nur schwer abschätzbar sind. Durch die vernetzten Strukturen des Internets entstehen Kulturen, die (nicht nur im Social-Media-Bereich) den Blick auf die Performanz von Identität und spezifisch digitale Inszenierungsstrategien lenken. Dabei stellen die sozialen Akteur*innen – scheinbar – auch konventionelle Privatheitsnormen zur Disposition. Aus einer medienanalytischen Perspektive ergibt sich in diesem Kontext die Frage, inwiefern sich auch kompensierende mediale Strategien angesichts omnipräsenter Überwachung entwickeln und inwiefern dies als selbstverantwortlicher Schutz von Privatheit ausreichend ist. Diesbezüglich gilt es etwa zwischen sozialen Inszenierungen auf Programmoberflächen und Datenanalyseverfahren in der Tiefenstruktur zu unterscheiden; darauf aufbauend sind mediale Praktiken auf ihre individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu hinterfragen.
In diesem Spannungsfeld möchte die Tagung eine wissenschaftliche Diskussion zu Verantwortungen und Folgenabschätzungen angesichts digitaler Umwälzungen anregen, auch unter dem Aspekt eines nachhaltigen Schutzes von Privatheit für zukünftige Generationen. Dabei soll sich den hier aufgerufenen Problemstellungen interdisziplinär genähert werden, wobei einerseits geistes-, kultur-, sozial- und medienwissenschaftliche Betrachtungsweisen und andererseits rechtswissenschaftliche Perspektiven im Fokus stehen. Informationstechnische Ansätze mit kulturwissenschaftlichen/juristischen Schnittstellen sind ebenfalls willkommen.
Mögliche Perspektiven können darstellen (sind aber nicht begrenzt auf):
Medienkulturen
• Adressat*innen von Verantwortung in medialen Kontexten
• Neue Praktiken der Selbstermächtigung und notwendige Formen der Verantwortung in vernetzten Umgebungen
• Privatheitspraktiken digitaler Kulturen: Rechtlicher Schutz vs. Selbstverantwortung?
• Fake News vs. informationelle Verantwortung – Strategien der Authentifizierung in digitalen Kontexten
• Die Rolle von Anonymität für Selbstbestimmung und Verantwortung
• Produktive Formen der Vermittlung von Medienkompetenz als Hilfe zum Selbstschutz
• Verantwortung als Kern einer digitalen Ethik
Recht
• Schutzpflichten und Eingriffsgrenzen des Staates in Bezug auf Privatheitsformen unter den Bedingungen der Digitalisierung
• Voraussetzungen verantwortungsvoller Datenpreisgabe(möglichkeiten)
• Datenschutzfolgenabschätzung als Instrument des Datenschutzrechts
• Informationelle Selbstbestimmung zulasten Dritter? Grenzen der Datensouveränität und Verantwortung in heterogenen IT-Umgebungen
• Verantwortung(en) im Rahmen der EU-DSGVO und ePrivacy-Verordnung
• Problematiken geteilter Verantwortlichkeiten nach der EuGH-Rechtsprechung zu Facebook-Fanpages
• Verantwortungsvolles, nachhaltiges Produktdesign datenverarbeitender Produkte und Dienste
• Grundrecht auf anonyme Internetnutzung?
• Mediendatenschutz und Mediennutzungsdatenschutz interaktiver Medien
• Altes neu gedacht oder ganz neu denken? Rechtliche Dogmatik zur Bewältigung der Herausforderungen der Digitalisierung
Gesellschaft
• Verantwortung staatlicher, rechtlicher und wirtschaftlicher Organe vs. Verantwortung natürlicher Personen
• Fremdkontrolle und Selbstkontrolle – Privatheit und Verantwortung als Streitgegenstände systemischer Besitzansprüche
• Wertekonflikte zwischen Verantwortung und Privatheit
• Autonomie und Automatisierung: Vertrauen und Verantwortung in der Mensch-Maschine-Interaktion sowie im Kontext Künstlicher Intelligenzen
• Macht der Technik und Software vs. Gegenmacht der Individuen und sozialen Gruppen
• Ist ein eigenverantwortlicher Verzicht auf Privatheit möglich?
• Perspektiven der Rechtfertigung, accountability und Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Staat
• Begriffliche Grundlagen
• …
Informationen zu Organisation und Ablauf
Die vom DFG-Graduiertenkolleg 1681/2 „Privatheit und Digitalisierung“ organisierte Tagung wird vom 9. bis 11. Mai 2019 an der Universität Passau stattfinden.
Ihr Abstract (inkl. Vortragstitel) mit einem Umfang von max. 300 Wörtern und einen Kurzlebenslauf (wissenschaftlicher Werdegang, einschlägige Publikationen) senden Sie bitte als PDF bis zum 31.10.2018 per E-Mail (Betreff: Verantwortung) an: privatheit@uni-passau.de
Die Benachrichtigung über die Annahme der Beiträge erfolgt Mitte November.
Die Vorträge haben eine Länge von 30 Minuten. Eine Veröffentlichung der Beiträge ist geplant.
Weitere Informationen zu unserem Promotionsprogramm, unseren Arbeitsfeldern und beteiligten Fachbereichen finden Sie unter: http://www.privatheit.uni-passau.de/. Für Fragen steht Ihnen Dr. Martin Hennig (Martin.Hennig@uni-passau.de) gerne zur Verfügung.