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Informationsvermittlung? – Obsolet!

Werden Editorials in Publikationen von Fachgesellschaften von ihren Mitgliedern gelesen? – Die Frage sollte sich nicht stellen, denn die Antwort lautet: Ja, die Mitglieder einer Fachgesellschaft sollten Editorials im eigenen Interesse lesen, weil sich hier neben Meinungen eben auch Entwicklungen in der eigenen Organisation abzeichnen.

Das Tätigkeitsfeld der glorreichen Ära der Informationsvermittlung gehört der Vergangenheit an, ist vom Absterben begriffen und vielerorts obsolet … so die zusammen gefaßte Aussage von Stefan Gradmann in seinem Vorwort zur iwp Heft 6 im Dezember 2012.

Entrüsteter Aufschrei!?

Ein entrüsteter Aufschrei von aktiven Bibliothekaren, Archivaren, Researchern, Dokumentaren, Informationsvermittlern, FAMIs, DGI-Lehrgangsabsolventen …? – Nein, eigentlich kein Aufschrei. – Werden Editorials in Publikationen von Fachgesellschaften von ihren Mitgliedern also womöglich ignoriert?

Ist die Beobachtung von Stefan Gradmann vollständig, wenn er das Tätigkeitsfeld der “glorreichen Ära der Informationsvermittlung” der Vergangenheit zuordnet und es “im Absterben begriffen” sieht? – Bekannt ist in der Tat die Auflösung ganzer Informationsvermittlungsstellen in Unternehmen und die Mittelkürzungen für Bibliotheken und Archive. Im genannten iwp-Editorial jedoch unerwähnt bleibt die Auslagerung von Informationsdienstleistungen z. B. nach Osteuropa und Fernost. Der Service Informationsvermittlung wird also durchaus weiter genutzt, aber Arbeitsumfeld und Einsatzorte wurden restrukturiert und damit der Kreis der Information Professionals ziemlich brüsk neu definiert.

Diese Entwicklung kann eine Fachgesellschaft vermutlich nicht aufhalten. Aber kann sie darüber hinwegsehen? Die DGI will und kann kein Lobbyverband sein (so die eigene Aussage). Eventuell fehlt ihr dazu die Stoßkraft und letztendlich liegt’s vielleicht auch an den Eigenheiten der in ihr vertretenen Berufsgruppen? – Aber eine Fachgesellschaft, die dem “partikularen Interesse eines Berufsstandes” nicht verpflichtet sein möchte, und dies mit der hinzugezogenen Begründung, dass es eine homogene Interessengruppe, für die man tätig sein könnte, nicht mehr gäbe? … Nein, auch hierzu keine Gegenstimme der so angesprochenen DGI-Mitglieder in ihren Berufsgruppen.

Eben nicht nur die fachlichen Inhalte

Die Interessengruppen der DGI kommen aus unterschiedlichsten Bereichen; durch diese Vielfalt der Interessenlagen werden sogar Veranstaltungen, wie die DGI-Praxistage im April 2013 mit dem Fokus auf semantische Technologien möglich. Doch neben den rein fachlichen Inhalten gibt es durchaus noch weitere Themen für die Auseinandersetzung in einer Fachgesellschaft. Daran erinnern zumindest bemerkenswerte Erklärungen von Vorständen, Mitgliedern und Referenten der DGI – das Ganze übrigens gestützt durch Aussagen über Ziele, Zielgruppen und Aktivitäten der DGI auf deren Webportal:

In Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gab es in den letzten Jahren und gibt es aktuell zahlreiche Ereignisse und Anlässe, die direkt und teilweise schonungslos in die Lebens- und Arbeitsumgebungen der DGI-Mitglieder eingreifen.

Und hier zeichnet sich ein Paradox ab, auf das eine Fachgesellschaft wie die DGI zusteuert: Die Fachgesellschaft, ihre Vertreter und auch ihre Mitglieder nehmen für die Ausübung ihrer fachlichen Engagements selbstverständlich Infrastruktur, Forschungsgelder, Freiheiten und Grundrechte in Anspruch. Aber Einflußnahmen, Veränderungen und sogar Manipulationen und Reduzierung von damit verbundenen Parametern werden bei der Auseinandersetzung ausgeblendet.

Ein Testergebnis

So kann das Editorial in der iwp auch als aufrüttelnder und provozierender Kommentar an der Landschaft einer Fachgesellschaft verstanden werden. Ein Test vielleicht sogar, ob das zuvor gesagte zutrifft. Ich möchte Stefan Gradmann meine Anerkennung zollen, dass er in seiner Rolle als Präsident der DGI diesen Test getätigt hat: denn mit Blick auf die DGI und ihre Mitglieder und der Stille nach dem Test liegt jetzt dessen Ergebnis womöglich noch etwas klarer auf der Hand.

(Dieser Leserbrief wurde an die Redaktion der IWP geschickt und wird voraussichtlich in Heft 4/2013 der Information Wissenschaft & Praxis abgedruckt. Der Autor ist Mitglied der DGI.)